Donnerstag, 8. Dezember 2016

Leider kein Weihnachtsmärchen

Es war einmal, vor langer, langer Zeit, sagen wir im Dezember 2016, da schlief ein kleiner Junge, sagen wir er heisst Lamar, im tiefverschneiten Wald eines wunderschönen Naturparks, sagen wir er heisst Kamaras und befindet sich unweit der ungarischen Stadt Szegedin an der serbisch-ungarischen Grenze. Lamar schlief, trotz der eisigen Temperaturen, für einmal tief und fest. Angst und Traurigkeit die normalerweise auch nachts sein Gesicht zeichneten, waren verschwunden.

© Magnus Wennman
Er träumte von seinen Kuscheltieren, den Spielsachen und dem Ball den er in seinem Haus in Bagdad lassen musste. Er träumte von seiner Grossmutter Sara, von den Nachbarskindern mit denen er auf der Strasse spielte und vom wunderschönen Sternenhimmel den er Nachts manchmal durchs Fenster sah. Auch diese Nacht leuchteten die Sterne am kalten Winterhimmel. Einer schien besonders hell. Ein leichter Windhauch strich ihm eine Strähne aus der Stirn und ein Lächeln huschte über Lamars Gesicht.

© The Wall Street Journal
Ein leichter Windhauch liess die brennende Kerze in Viktor Orbans Arbeitszimmer flackern. Es ist der 24. Dezember und eigentlich sollte Ungarns Premierminister zu Hause bei seiner Familie sein. Der Kaffee in seiner Tasse war kalt, ein letztes Dokument musste er noch unterzeichnen. Er zögerte, hielt einen Moment inne. Er dachte an seine fünf Kinder, seine Frau und seine Mutter. Die Bilder von Magnus Wennman die er heute in einer kurzen Pause in seinem Facebook-Stream sah, gehen ihm nicht aus dem Kopf. Er dachte an seine Familie, an seine Landsleute die er beschützen musste. Er dachten an diesen Spruch der besagte, dass, wenn man genug zu Essen habe, man nicht höhere Zäune bauen solle sondern längere Tische. Hatten sie alle genug zu Essen?

© unsplash.com - Arteida MjESHTRI
Wie ein leichter Windhauch fuhr Marijas Hand über Josifs Wange. "Bleib heut' Nacht hier" flüsterte sie "ich glaub es ist soweit". Josif legte ihr eine Hand über den dicken, runden Bauch und spürte das Strampeln des Kindes. Er hatte keine grosse Lust diese Nacht wieder 30 verängstigte Frauen, Kinder und Männer auf ein Schlauchboot zu treiben und ins offene Meer hinaus zu ziehen, auch wenn er gut dafür bezahlt wurde. Gewissensbisse hatte er keine, irgendwie musste er ja seine Familie über die Runden bringen und wenn er es nicht machte, dann eben ein anderer. Arbeitslose gab es genug und der schöne Diamantring den er Marija zur Geburt seines ersten Sohnes schenken wollte, musste ja auch bezahlt werden.


Ein leichter Windhauch wirbelt Schneeflocken über die hochglanzpolierten schwarzen Luxuslimousinen. Putin, Erdogan, Assad, Jean Ziegler, Lloyd Blankfein und Didier Burkhalter sassen bei Grossmutter Käthi Burri in Bethlehem (bei Bern) am Küchentisch, tranken extrastarken Wildkaffee und assen einen feinen Züpfen. Es ist der 25. Dezember und die Herren treffen sich in höchst dringender und geheimer Mission. Viktor Orban hatte nämlich veranlasst, alle Grenzen zu öffnen und seinen Zivilschutz gebeten, Zelte bereit zu stellen, lange Tische zu bauen und alle anderen europäischen Länder eingeladen, es ihm gleichzutun. Damit gerieten die ganzen Pläne der vier Staatsoberhäupter durcheinander und sie berieten heftig über das weitere Vorgehen. Solange bis Käthi Burri der Kragen platze, sie das Glas feinster Erdbeerkonfi auf den Tisch knallte und sagte: "Itz isch aber auwä gnue Heu dunne, mes chers Messieurs! Höred doch eifach emal uf mit däm cheibe Chindergarte. Hütt isch Wiehnachte u s'Bescht wär iehr würdet mit dem Chrieg eifach emau ufhöre, vo hütt uf morn Fertig, Schluss, Aus, Amen! Meinsch nid ou, Didier?" fragte sie den Aussenminister und gab ihm einen Stoss mit dem Ellbogen. Fünf grosse, erstaunte Augenpaare waren auf ihn gerichtet "Oui, oui, tout à fait, das ist natürlisch eine ganz formidable Idee" antwortete dieser prompt. Und so kam es, dass der Papst an diesem Weihnachtsfeiertag nicht nur seinen Urbi et Orbi-Segen erteilte sondern, noch bevor Trump es twittern konnte, der Welt mitteilte, dass im Nahen Osten ab sofort Frieden herrsche.
Lamar genoss ein köstliches Gulasch und freute sich wie ein Schneekönig, bald wieder nach Bagdad heimkehren zu dürfen, ein schöneres Geschenk hätte man ihm nicht machen können.

© Magnus Wennman
Wie sagen die Italiener? Se non è vero, è ben trovato. Und wenn es nicht stimmt so ist's wenigstens gut erfunden. Leider ist die Realität enorm viel komplizierter und die Wahrheit in den diversen Lagern in Griechenland, in Italien, in der Türkei und auch in vielen arabischen Ländern bitter und kalt. Während dem wir das Fest der Nächstenliebe feiern, uns, dem gesellschaftlichen Druck nicht standhaltend im Konsumrausch ergehen,  uns die Bäuche mit feinsten Delikatessen vollschlagen und die Gabentische oft in dekadentester Art und Weise verbiegen, geht es bei Lamar, Maha, Abdul Karim, Mahdi, Ahmad, Shehd, Sham, Abdullah, Shiraz, Mohammed und tausenden anderen Kindern (und Erwachsenen) oft ums nackte Überleben. Wir können etwas tun. Das kann auch ganz konkret hier in der Schweiz sein, auch bei uns gibt es Armut und Not. Lasst uns diesmal konkret etwas unternehmen. Jeder dort wo er kann. Damit wir morgen eine bessere Welt haben und die Kinder eine Zukunft. Ein leichter Windhauch, so fein und doch so mächtig ....

Wo und wie helfen? Wenn man die Augen offen hält finden Sie (auch auf Google) ganz viele Möglichkeiten. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass ein Vorsatz, den man notiert, viel öfter realisiert wird als ein Gedanke. Wir laden Sie ein dafür die Kommentarspalte zu benutzen. So können Sie uns und den anderen Leserinnen und Lesern wertvolle Tipps geben wie und wo man ganz konkret etwas tun kann. Danke!

Wo die Kinder schlafen - berührende Photodokumentation von Magnus Wennman, zweimaligem Gewinner des World Press Photo Award

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