Donnerstag, 7. Mai 2015

Fair Trade, Marketing-Witz oder echte Lebenshilfe?

Immer wenn das Thema Fair Trade aufs Tapet kommt gehen die Wogen in den Kommentarspalten hoch. Ein Thema, das zu polarisieren scheint und die Menschheit in zwei Lager spaltet: gutgläubige Weltverbesserer und haarscharf kalkulierende Allesbesserwisser. Gerade sind die Gemüter sich wieder am abkühlen - nach der letzten Titelstory des Beobachter - da kommt doch auch schon der nächste World Fair Trade Day (Samstag, 09. Mai). Für uns ein Grund, sich erneut mit dem Thema zu befassen und einen Beitrag zur sachlichen Auseinandersetzung mit diesem verflixt komplizierten Thema zu leisten.


Was heisst überhaupt fair? Ist es fair, oder gerecht, wenn ein Unternehmensleiter CHF 80'000 im Monat verdient und der schlechtbezahlteste Angestellte knapp CHF 4'000 wie bei der SBB? Ist es gerecht, wenn eine Frau mit den gleichen Qualifikationen im Schnitt 20% weniger verdient als ein Mann? Ist es gerecht, wenn der Vater für den verlorenen Sohn das gemästete Kalb schlachten lässt und ein Fest gibt? Die Frage nach Gerechtigkeit ist so alt wie die Menschheit und kann wohl nie abschliessend beurteilt werden. Gerechtigkeit muss also von Fall zu Fall beurteilt werden und wo es Regeln zur Beurteilung gibt, ist die Ungerechtigkeit nicht weit. Ist es gerecht, einen Fisch, eine Robbe, einen Elefanten, einen Affen und einen Vogel nach ihrer Fähigkeit zu beurteilen auf einen Baum klettern zu können? Wer fair sagt, muss also auch die Regeln fair handhaben. Ist es gerecht, für alle Kaffeebauern auf der Welt die gleichen Regeln aufzustellen oder müssen diese an die lokalen Bedingungen angepasst werden? Das kompliziert das System und die Überwachung der Regeln. Wie teilt man den Gewinn aus dem Verkauf eines Kilos Kaffee gerecht? Nehmen wir an, fünf Personen sind an der Wertschöpfungskette beteiligt. Soll der Gewinn durch fünf geteilt werden? Unabhängig vom geleisteten Aufwand? Wie wird dieser Aufwand gemessen? In Stunden, in Franken? Wie werden helfende Beziehungen bewertet? ... Wir könnten noch tausend Fragen stellen die alle aufzeigen, wie komplex es ist, Fair Trade fair zu beurteilen.


Das primäre Ziel von Fair Trade ist es, die Lebensbedingungen der Arbeiter in den Herkunftsländern zu verbessern. Dafür sind viele Menschen bereit, einen Mehrpreis zu zahlen (was grundsätzlich bedauernswert ist, da es eigentlich einfach normal sein sollte fair zu handeln). Ob das Ziel damit erreicht wird lässt sich messen. Leider sind die Resultate recht durchzogen wie zum Beispiel eine Studie über Fairtrade, Beschäftigung und Armutsbekämpfung vom April 2014 in Äthiopien und Uganda der University of London oder auch der bereits erwähnte Artikel im Beobachter aufzeigt. Dies mit der wie oben erwähnten Komplexität zu erklären, wäre zu einfach. Interessante Antworten findet man in der - subjektiven - Stellungnahme von Fair Trade Deutschland aber auch im objektiveren Beitrag der taz (wo auch die Kommentare lesenswert sind) oder der Huffington Post. Tatsache ist aber leider auch, dass dort, wo mit Ablasshandel Geld verdient wird Missbrauch entsteht. Wird eine Idee zur Industrie, nivelliert das - a fortiori - die Qualität nach unten. Es ist wie überall, der Konsument kann sein Vertrauen einfach einem Label verkaufen. Dann wird damit Kohle gemacht. Oder der Konsument nimmt sich selber die Zeit, genau hinzuschauen, weil ihm Fairness (oder Bio, oder vegan oder Qualität) echt wichtig ist und er nicht einfach nur sein Gewissen beruhigen will.


Echtes Fair Trade (oder Bio, oder vegan oder Qualität) findet man am ehesten bei kleinen Unternehmen. Dort, wo der Besitzer auch das Geschäft führt, wo eine unternehmerische Vision persönlich gelebt wird. Bei Kaffa Wildkaffee zum Beispiel steht die Geschäftsführerin Maria Müller selbst für fairen Handel gerade. Sie kennt die Produzenten in Äthiopien persönlich, handelt mit ihnen die Preise aus und weiss, dass sie mit dem höheren Verkaufspreis den Bauern ein höheres Einkommen generieren kann. Diese investieren das Geld in dem sie ihre Kinder zur Schule schicken, sich einen Ochsen kaufen oder sich eine neue Hütte mit richtigem Wellblechdach leisten können. Einfach eine neue Schule hinzustellen oder Brunnen zu bauen und dies gross rauszuposaunen, wie dies in gewissen Kaffeekreisen (um keine Namen zu nennen) gemacht wird, ist gemäss Maria Müller nicht sehr effizient. Denn vor Ort fehlen nicht unbedingt Schulen sondern das Schulsystem ist mangelhaft, es fehlen gut ausgebildete Lehrer und Lehrmethoden, die die Kinder wirklich weiterbringen. Aber in ein nachhaltiges Schulsystem zu investieren ist halt viel komplizierter und schwieriger zu verkaufen als ein brandneues Schulhaus. Das wichtigste beim fairen Handel ist, meint Maria Müller, sein eigenes Handeln immer kritisch zu hinterfragen. So ist sie sich zum Beispiel bewusst, dass mit der besseren Schulbildung alleine die Probleme nicht gelöst sind, denn die jungen Menschen ziehen dann in die Stadt, weil sie hoffen, dort besser bezahlte Arbeiten zu erhalten. Doch trotz einer aufstrebenden Industrie in der Hauptstadt Addis Abeba fehlt es an Arbeitsplätzen und vor allem an qualifizierten Ausbildungsstätten, die den jungen Leuten eine Basis für ihre berufliche Zukunft und somit ein späteres Einkommen geben. Deshalb schwirrt auch bereits eine Idee von Kaffa-Werkstätten vor Ort im Kopf herum, in der lokal Know-how gelehrt und praktisch angewandt werden könnte. Das wäre ein weiterer Baustein, um das primäre Ziel von Fair Trade, die Lebensumstände der Menschen in Äthiopien zu verbessern, konkret und messbar zu erreichen.

Und auch wenn es auch bei diesem Projekt ganz sicher wieder Einzelfälle gäbe, die nicht gerecht/fair behandelt werden, so glauben wir doch fest daran, dass es wichtiger ist, ein unverbesserlicher Weltverbesserer zu sein und konkret etwas zu tun als als Allesbesserwisser nichts zu tun mit der Begründung, allen Recht getan ist eine Kunst die sowieso niemand kann.

P.S.: Möchten Sie das Thema fairtiefen, empfehlen wir Ihnen unsere "Eco&Fair"-Playlist auf Youtube.

P.P.S.: Am Sonntag ist Muttertag. Fragen sie mal Ihre Mutter was für sie "gerecht" bedeutet. Mütter haben da nämlich oft eine ganz pragmatische Ansicht. Besonders wenn es ums fairteilen, zum Beispiel von Espresso-Gugelhöpfli mit Schoggiüberzug oder anderen Leckereien geht ...


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